2016

 

*Mit der Unterstützung des Polnischen Kulturministeriums/Zrealizowano w ramach stypendium Ministra Kultury i Dziedzictwa Narodowego                                                                                         

 

2015 

 

*In Kooperation mit dem Europäischen Forum Polnischer Musik in Berlin

 

*Mit der Unterstützung der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit

 

 

Das Projekt

 

Das umfangreiche Werk des Komponisten Mieczyslaw Weinberg gehörte lange zu den verschollenen Perlen des XX. Jahrhunderts und erntet nun zunehmend die verdiente Aufmerksamkeit der Musikwelt. Im Rahmen des Projekts Weinberg, stellt sich die Pianistin K. Wasiak der Herausforderung unbekannten Werken höchster Qualität und seltener Musikgattungen (z. B. das Klavierquintett) neues Leben einzuhauchen. Das Projekt versteht sich aber vor allem als eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal des jüngeren polnisch-jüdischen Kulturerbes.

 

Weinbergs Nachlass ist ein wichtiger Bestandteil dieses Erbes, das durch die Shoah größtenteils zerstört wurde. Während Weinberg ins sowjetische Exil floh und dort unter Unterdrückung und Zensur litt, überlebte der ebenfalls polnische Komponist Szymon Laks das KZ Auschwitz als Leiter des Lagerorchesters. Beide Komponisten stehen sinnbildlich für das tragische Schicksal der polnisch-jüdischen Kulturszene dieser Zeit. Sowohl in der jungen Volksrepublik Polen als auch in der Sowjetunion gab es nach 1945 wenig Platz für eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Erlebten und so gerieten selbst die wenigen überlebenden Künstler weitgehend in Vergessenheit. Die Aufarbeitung dieser Verdrängung, insbesondere in Polen, hat nun begonnen. Das Projekt Weinberg will kammermusikalische Werke höchster Qualität, die exemplarisch für diese Problematik stehen, neu beleuchten. So äußert sich der Wunsch der Künstler ihren Beitrag zu dieser neuen Tendenz der bewussten Musikszene zu leisten.

 

Das Projekt umfasst zwei Konzerte, die sich jeweils um das Duo Klavier-Geige und das  Klavierquintett artikulieren. Die Aufführungen sind geprägt von der Überlegung, dass besonders Orte des Gedenkens wie das neu eröffnete Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau oder die Villa Oppenheim in Breslau sich dazu eignen zum Hort einer Wiederentdeckung zu werden. Das Zusammenspiel zwischen vergessenen Werken und einem vergangenheitsträchtigen Ort schafft neuen Sinn und lässt beide in neuem Licht erstrahlen. Das Projekt Weinberg 2016 stellt sich als Ziel das erfahrene Publikum der größten Konzertsäle Europas zu erreichen und mit der Musik Weinbergs die europäische Bühne zu betreten. Das Projekt findet im Juli-Dezember 2016 statt und bespielt u.a. Konzertsäle des Musikvereins Wien, des Jüdischen Museums Polin in Warschau und der neu entdeckten Villa Oppenheim in Breslau. Die Musiker treten mit dem Weinberg Projekt auch in der Schweiz und in England auf.

Die genaueren Termine und Orte werden bald bekannt gegeben.

 

Konzert I

 

Felix Mendelssohn-Bartholdy

 Sonate für Violine und Klavier f-Moll Op.4

 

Mieczyslaw Weinberg

Sonate für Violine und Klavier No.4 Op.39

 

***

Szymon Laks

Trois pieces de concert für Violine und Klavier 

 

Josef Elgiser

Variationen über zwei jüdische Themen für Klavier

 

Mieczyslaw Weinberg

Rhapsodie über Moldawische Themen Op.47/1 für Violine und Klavier

 

Konzert II

 

Mieczyslaw Weinberg

Klavierquintett Op.18

 

***

 

Karol Rathaus

Rapsodia Notturna für Cello und Klavier

 

Szymon Laks

 Quintett für Klavier und Streicher zu polnischen Volksweisen

 

Zu den Werken

 

Das Projekt entstand um Mieczyslaw Weinberg, einem bedeutenden polnisch-jüdischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Trotz seiner bemerkenswerten Begabung, der Vielfalt seiner Werke und der Unterstützung namhafter Künstler wie D. Schostakowitsch, ist Weinberg bis heute fast gänzlich unerkannt geblieben ist.  Dies mag an seinem Werdegang liegen,  der die dunkelsten Aspekte der europäischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts berührt.

  

Die Sonate Nr.4 Op.39 für Violine und Klavier von Mieczyslaw Weinberg wurde im Jahre 1947 komponiert und dem Geiger Leonid Kogan gewidmet (der zu dieser Zeit noch ein Student des Moskauer Konservatoriums war). Die Sonate wurde im 1968 uraufgeführt und musste die nächsten 10 Jahre bis zur Publikation warten. Die vierte Sonate ist im Vergleich zu den ersten drei selbstsicherer und mutiger im stilistischen Sinne. Die drei Sätze der Sonate haben sehr kontrastierende Charaktere und wurden frei sowohl harmonisch als auch strukturbezogen gestaltet (Adagio-Allegro ma non troppo-Prestissimo-Adagio tenuto molto rubato). Die Sonate fängt mit einem langen poliphonen Solo des Klaviers an, welches in der freien Variationsform gebaut ist. Danach zieht sich das Klavier zurück als die Geige das Hauptthema übernimmt und weiterentwickelt. 

 

Aufgrund der erweiterten Mehrstimmigkeit und schwierigeren Balance zwischen den Instrumenten stellt das Klavierquintett eine eher seltene kompositorische Gattung dar. So besticht Weinbergs Klavierquintett Op. 18 auch durch die ungewöhnlich kunstreiche Verflechtung der doch so unterschiedlichen fünf Sätze.  Schon der Anfang des Quintetts mit seinem Hauch französischer Verfremdung und der zweite Satz à la Bartok sind meisterhaft miteinander verwoben und gestalten ein einheitliches Bild. Wie so oft in den  Werken des Komponisten wird der brillante und wirkungsvolle letzte Satz, durchsetzt mit zahlreichen Kanons und Fugen, von einem grundsätzlichen Optimismus getragen. Es gelang Weinberg selbst in dunklen Stunden Hoffnung und Lebensfreude in seine Kompositionen einfließen zu lassen.

 

Die frühe Sonate von Felix Mendelssohn-Bartholdy bezaubert mit  Schlichtheit, Ehrlichkeit und Hoffnung eines jungen Menschen. Beide Instrumente finden in dem melancholisch überschatteten, Beethoven verpflichteten Werk zu einem schönen Ausgleich. Mendelssohn war vierzehn Jahre alt, als er die Sonate f-Moll für Violine und Klavier Op. 4 komponierte. Er widmete sie dem Freund und Geigenlehrer Eduard Rietz.

 

Josef Elgiser  war in der Ukraine als Komponist, Musikwissenschaftler und Pianist bekannt. Er hat mehr als 200 Klavier- und Orchesterwerke komponiert, zahlreiche Kammermusikwerke, rund 70 Lieder, Romanzen, Chor- und andere Vokalwerke mit zum Teil eigenen Texte. Eine seiner Variationen über zwei jüdische Themen bezieht sich auf das jiddische Lied "Oyf'n Pripetchik''.

 

Das Klavierquintett von Szymon Laks ist eine Rarität, die noch seltener als Weinbergs Klavierquintett gespielt wird. Zwei Monate nach Laks Befreiung 1945 aus dem Konzentrationslager Kaufering, komponiert er sein drittes Streichquartett "zu polnischen Volksweisen". In den vier Sätzen des Stückes lassen sich zahlreiche Volksmelodien aus verschiedenen Regionen Polens ausmachen. In den 60er Jahren schreibt Laks das Streichquartett zum Klavierquintett um. Der polnisch-jüdische Komponist wurde 1942 nach Auschwitz deportiert und überlebte das Lager als Leiter des Lagerorchesters: "Die Geige, die ich halte, ist mein Schutzschild geworden".

 

Das Werk Trois pieces de concert für Violine und Klavier von Szymon Laks stammt aus der Vorkriegszeit. Judith Ingolfsson hat die Violinversion des Stückes rekonstruiert, die im Krieg verloren ging. Laks hat diese Komposition ursprünglich für Violoncello geschrieben.  

 

 

Weinbergs Klaviersonate in gis-Moll, die dritte von sechs Klaviersonaten, wurde vier Jahre nach der zweiten und letzten Klaviersonate seines Freundes und Mentors Dmitri Schostakowitsch komponiert.  Der Einfluss Schostakowitschs als Inspirationsquelle ist in Weinbergs Werk prägend. Trotzdem bedient sich Weinberg eines weit gefächerten Repertoires. So verwendet er in der Sonate auch die spätromantische Technik des zyklischen Themas: Am Ende des dritten Satzes erscheint das Anfangsmotiv des zweiten, düster wirkenden Mouvements. Die Musik Weinbergs kann zum Teil turbulent und düster klingen, im Gegensatz zu Schostakowitschs Werken ist Trostlosigkeit aber niemals das vorherrschende Element. Diese Sonate wurde im Rahmen des Weinberg Projekts 2015 aufgeführt.

 

 

Zu Mieczyslaw Weinberg

 

Als Nazideutschland Polen überfällt, flüchtet der 20-jährige Weinberg in die Sowjetunion. Zu Fuß macht er sich auf den Weg Richtung Osten. Auf der Flucht muss er seine zwei Jahre jüngere Schwester Ester zurücklassen. Weinberg wird sie und seine Eltern niemals wiedersehen. Erst in den sechziger Jahren erfährt er mit letzter Gewissheit, dass sie im Warschauer Getto von den Nazis ermordet wurden. Bis zuletzt begreift er sein Komponieren als Trauerarbeit: "Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert wiederfuhren".

 

In der Sowjetunion angekommen lässt er sich zunächst in Minsk nieder. Später wird er nach Taschkent evakuiert, wo er seine erste Symphonie schreibt. Durch seine Bekanntschaft mit dem jungen Komponisten und Schüler Schostakowitschs Juri Lewitin sollte sich sein Leben verändern. Der Freund schickt Weinbergs Symphonie an seinen Lehrer. Schostakowitsch ist von dieser Musik so begeistert, dass er für Weinberg eine Erlaubnis erwirkt nach Moskau zu ziehen. Es entwickelt sich zwischen den beiden Komponisten eine herzliche Freundschaft, voller gegenseitiger Bewunderung und Anerkennung. So setzte sich Schostakowitsch oft für die Aufführung von Weinbergs Musik ein.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschärfen sich in der Sowjetunion antisemitische Stimmungen. Weinbergs Schwiegervater, ein bekannter Schauspieler, wurde bereits 1948 von der Geheimpolizei ermordet. Zu Beginn des Jahres 1953, unter dem Vorwand er propagiere die Errichtung einer jüdischen Republik auf der Krim, wird Weinberg selbst verhaftet. Er entkommt der Exekution nur dank Stalins Tod.

 

Weinberg komponierte beachtlich, fast manisch viel. Er schrieb weit mehr Symphonien (26) und Streichquartette (17) als sein berühmter Freund Schostakowitsch. Alle vier Streichinstrumente wurden von ihm mit mindestens einer Sonate bedacht. Außerdem entstand noch Musik zu 43 Filmen, Ballettmusik und sieben große Opern unter seiner Feder. In den 1950er Jahren feierte er einige Erfolge. Berühmte Musiker wie Leonid Kogan, David Oistrach, Mstislaw Rostropowitsch, Emil Gilels und Rudolf Barschai spielten seine Werke. Erst 1971 erhielt Weinberg eine erste Auszeichnung und 1990 -auf Vorschlag des Komponistenverbandes- den Staatspreis. Zu dieser Situation äußerte sich der Komponist Alexander Tschaikowski:

"Es entstand der Eindruck als bestände die gesamte sowjetische Musik aus A. Schnittke, G. Gubaidulina und E. Denissow. [...] Gott sei Dank haben sie ihm [Weinberg] den Staatpreis verliehen, obwohl wir natürlich wissen, dass sich damit nichts wirklich geändert hat: Wie auch vorher schon existiert Weinberg für die sowjetische Musik irgendwie gar nicht."